Klimaschutz und energetische Sanierung im Quartier
Für das Gelingen der Energiewende ist der Bau- und Wohnungssektor von großer Bedeutung. Bislang hat bei der energetischen Sanierung vor allem das Einzelgebäude im Mittelpunkt gestanden. Inzwischen rücken aber Gebäude-übergreifende Lösungen für Quartiere (im Sinne von überschaubaren, baulich und sozial homogenen Gebieten) in den Fokus. Eine Veranstaltung der Metropolregion Hamburg am 20. Juni im Schloss Reinbek verfolgte das Ziel, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern den Mehrwert einer Quartiersbezogenen Betrachtung von Energie- und Klimaschutzkonzepten zu vermitteln. Hierzu wurden Praxisbeispiele aus dem KfW-Programm „energetische Stadtsanierung“ sowie Förderprogramme und Initiativen des Bundes und der Länder vorgestellt und diskutiert.
Fachtagung
Bürgermeister Axel Bärendorf (Stadt Reinbek) und Rainer Scheppelmann (Leiter der Facharbeitsgruppe „Klimaschutz und Energie“ der Metropolregion Hamburg) richteten Ihre Grußworte an die rund 70 Gäste aus Kommunen und Landkreisen, aber auch von Planungsbüros sowie Energieversorgungsunternehmen, der Wohnungswirtschaft und der Landesebene.
Dietmar Walberg, Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen – ARGE e.V., übernahm die thematische Einführung. In seinem Vortrag plädierte er für eine umfangreiche und dennoch maßvolle energetische Sanierung des Gebäudebestands unter Wahrung regional unterschiedlicher Baukulturen sowie die Verknüpfung energetischer mit sonstigen Maßnahmen (z.B. Barrierearmut).
Es folgten drei Praxisbeispiele aus den Bundesländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern.
Christoph Adloff (Landeshauptstadt Kiel; Amt für Wirtschaft; Referent für Lokale Ökonomie und Quartiersentwicklung) stellte das Quartier Kiel - Zentrales Gaarden vor, welches in der Öffentlichkeit insbesondere unter seinem „schlechten Ruf“ leidet – 42 % der Einwohner des ehemaligen Hafenarbeiterquartier haben einen Migrationshintergrund und 37 % erhalten ALG II. Mit der energetischen Klimaschutzsanierung des ersten Kieler Klimaschutzquartiers soll der Stadtteil ein neues, positives Image erhalten.
Über das Integrierte Energiequartier Stade - Hahle berichte Nils Jacobs (Stadt Stade; Fachbereich Bauen und Stadtentwicklung). Das Quartier ist geprägt durch Reihenhäuser und Mehrfamilienhäuser der 1950/60er Jahre sowie einige Einfamilienhäuser. Aktuell wird durch eine ortsansässige Wohnungsgenossenschaft energetische Sanierung durchgeführt und es soll versucht werden, eine pilothafte energetische Sanierung im privaten Gebäudebestand zu initiieren. Außerdem ist das Quartier eines der „energieeffizienten und klimaneutralen Quartiere – EQ“ des Forschungsprogramms Experimenteller Wohnungs- und Städtebau (ExWoSt) des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS).
Vor einem anderen Hintergrund steht das Beispiel Wismar - Alter Hafen, bei dem es sich um ausgediente Speicherhäuser handelt. Der Bebauungsplan wurde bereits als Misch-, Gewerbe- und Sondergebiet umgewidmet. Das Quartierskonzept wurde von Christopher Toben (DSK – Deutsche Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft mbH & Co.KG; Gebietsleiter Mecklenburg-Vorpommern) vorgestellt. Eine Besonderheit des Konzepts ist, die durch die (Insel-)Lage des Quartiers bedingte Potentialabschätzung, inwiefern die Ostsee als Energiequelle für die Gebäude in Betracht kommen kann.
Neben den Praxisbeispielen wurden drei weitere Quartiere in der Metropolregion Hamburg, in denen eine „energetische Stadtsanierung“ mit dem gleichnamigen KfW-Programm 432 durchgeführt wird/wurde, in einer Posterausstellung präsentiert: Freie und Hansestadt Hamburg - Bergedorf Süd, Gemeinde Reppenstedt - Mitte, Hansestadt Lübeck - Moisling.
Andreas Ronge (KfW-Bankengruppe, Geschäftsbereich Kommunal- und Privatkundenbank / Kreditinstitute, Key-Account-Manager) stellte Förderprogramme der KfW-Bankengruppe vor, die gezielt auf Kommunen ausgerichtet sind. Die TagungsteilnehmerInnen interessierten sich insbesondere für die Komplexität und die Anforderungen des KfW-Programms 432 „energetische Stadtsanierung“.
Im ersten Programmteil wird ein integriertes Quartierskonzept mit Blick auf die Zeithorizonte 2020 und 2050 erarbeitet. Das Konzept stellt Einsparungspotentiale bezüglich des Primär- und Endenergieverbrauchs sowie von CO2 dar und schlägt konkrete Maßnahmen vor, mit denen die Einsparungsziele erreicht werden sollen.
In einem zweiten, optionalen Teil kann für zwei Jahre ein Sanierungsmanager für die Umsetzung des Konzepts eingestellt werden. Insbesondere die Konditionen, die mit der Einstellung des Sanierungsmanagers verknüpft sind, waren für die TeilnehmerInnen von großem Interesse: Die KfW-Bankengruppe gewährt (ebenso wie für die Konzepterstellung) einen Zuschuss von 65 % für Sach- und Personalkosten. Der/Die SanierungsmanagerIn kann sowohl mit einer bestehenden oder neu einzurichtenden kommunalen Stelle besetzt als auch durch einen externen Dienstleister gestellt werden. Die Personalkosten sind nach TVöD abzurechnen. Neben zwei Jahren Berufspraxis werden weitere Anforderungen an die Person gestellt, die im dazugehörigen Merkblatt zusammengefasst sind.
Die KfW-Bankengruppe gewährt sowohl für die Konzepterstellung als auch für den Sanierungsmanager einen (nicht zurückzahlbaren) Zuschuss von 65 % der Gesamtkosten. Die Kommunen, die ein Quertierskonzept erstellen bzw. einen Sanierungsmanager einstellen, zahlen 35 % der Kosten hierfür bzw. können sich diese mit einem Partner (z.B. kommunales Wohnungsunternehmen) teilen. Bei Kommunen mit einem „Finanzschwachen Haushalt“ kann der Eigenanteil auf 5 % reduziert werden.
Die Internetseite www.nikis-niedersachsen.de – die Niedersächsische Initiative für Klimaschutz in der Siedlungsentwicklung wurde von Lena Jütting (plan zwei · Stadtplanung und Architektur) vorgestellt. Diese wird vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit, Frauen, Familie und Integration veröffentlicht und hat die Aufgabe, niedersächsische Kommunen bei der Entwicklung von Strategien zum Klimaschutz und der Anpassung an die Folgen des Klimawandels durch Informationen strategisch zu unterstützen.
Heidrun Buhse (Innenministerium Schleswig-Holstein, Referat für Wohnraumförderung) und Olaf Kühl (Investitionsbank Schleswig-Holstein, Leiter Wohnquartiersentwicklung / Städtebauförderung) stellten den Klimapakt und die Zusatzförderung des Landes Schleswig-Holstein für die energetische Stadtsanierung vor.
Frau Buhse zog eine Zwischenbilanz nach dem ersten Jahr der energetischen Stadtsanierung in Schleswig-Holstein und zeigte die Rolle des Programms als Baustein der sozialen Wohnungspolitik, nachhaltigen Stadtentwicklung sowie Umsetzung der Energiewendeziele auf. Außerdem führte sie aus, welche Unterstützungstools das Land seinen Kommunen mit auf den Weg gibt (z.B. Gutachten „Förderung von Klimaschutz und Energieeffizienz in der integrierten Stadtentwicklung“, „Gebäudetypologie Schleswig-Holstein“, „Wärmenetzkarte Schleswig-Holstein“).
Aber auch finanziell unterstützt das Land seine Kommunen bei der Durchführung der energetischen Stadterneuerung; Kommunen, die einen Antrag für das KfW-Programm 432 gestellt haben, erhalten ein Beratungspakte im Wert von 5.000 €. Weitere Details zur Landesförderung stellte Olaf Kühl vor: Normalerweise müssen 35 % der Kosten für die Konzepterstellung sowie den Sanierungsmanager von der Kommune bzw. ihrem Antragspartner gezahlt werden. In Schleswig-Holstein werden Kommunen vom Land mit bis zu 20 % unterstützt, so dass der Eigenanteil der Kommunen bzw. ihrer Antragspartner lediglich bei 15 % liegt.
Die TagungsteilnehmerInnen bemängelten, dass diese besondere Förderung des Landes Schleswig-Holstein nur für größere Kommunen (maximal „Stadtrandkern 2. Ordnung“) greife.
Abgerundet wurde die Fachtagung durch eine Podiumsdiskussion, an der die Referenten der drei Praxisbeispiele (Christoph Adloff, Nils Jacobs, Christopher Toben) und Heidrun Buhse teilnahmen. Auch das Publikum brachte sich durch Nachfragen und Anregungen aktiv in die Diskussionsrunde ein. Diese wurde von Klaus Habermann-Nieße (plan zwei · Stadtplanung und Architektur) moderiert.
Im Folgenden werden die Kernpunkte der Diskussion zusammengefasst:
Die Komplexität der energetischen Stadtsanierung sehen die Diskussionspartner nicht so sehr darin, die Akteure zu benennen, sondern vielmehr in der Überzeugungsarbeit sie zu aktivieren, dass gemeinsame Ziel zu verfolgen. Hauptziel der Konzepte ist die Reduktion der CO2-Emissionen im Quartier. Hierzu eignen sich insbesondere zwei Strategien; zum einen hohe Anforderungen an die Gebäudehülle zu stellen und zum anderen die Energieversorgung möglichst aus erneuerbaren Quellen zu bestreiten.
Bei der energetischen Stadtsanierung gehe es auch darum, bestehende Konzepte (z.B. Wohnungsmarkt, Stadtentwicklungskonzepte) zu integrieren und das ausgearbeitete Modell auf andere Quartiere zu übertragen bzw. neue Kommunen für die energetische Stadtsanierung zu gewinnen. Außerdem trage die energetische Stadtsanierung zur Ausbildung und Ansammlung von Fachwissen in den Kommunen bei.
Das Thema Kosten wurde wie folgt eingeschätzt: Zum einen seien die Energiekosten noch zu niedrig, um die Investition in umfangreiche Energieeinsparmaßnahmen zu erreichen. Zum anderen würden Einsparkonzepte und die in ihnen enthaltenen Maßnahmen nur umgesetzt werden, wenn eine gewisse finanzielle Förderung zur Verfügung stehe. Insbesondere eine finanzielle Unterstützung kleinerer Kommunen sei hierbei wünschenswert. Ein Randthema in der Kostendiskussion war die Entwicklung von Nahwärmenetzen. Die Investitionsrendite der Energieversorger (z.B. Stadtwerke) sei oftmals eine höhere, als die von (privaten oder öffentlichen) Gebäudeeigentümer, die ein eigenes Nahwärmenetz aufbauen.
Bezüglich der Auswahl der Gebietskulisse konnten die Vertreter der drei Praxisbeispiele über ihre Erfahrungen vor Ort berichten: Die Fokussierung auf ein Quartier eröffne für die Gebäudemodernisierung einen neuen Blickwinkel. Sie lobten die Möglichkeit, auf Bestehendes aufzubauen und dem Quartier ein weiteres Image geben zu können, bzw. im Fall Wismar mit einer Quartiersentwicklung bei Null neu zu beginnen. Die Vertreter verstanden Ihre Quartiere auch als Lernwerkstatt. Sie wünschten sich eine Verstetigung der entwickelten Konzepte und erkannten die Möglichkeit, gute Beispiele in anderen Quartieren zu wiederholen.
Der Sanierungsmanager war ebenfalls Thema der Diskussionsrunde. Seine Rolle wird insbesondere darin gesehen, die Umsetzung eines Pilotgebäudes zu begleiten und über weitere Umsetzungsbeispiele im Quartier Fuß zufassen. Neben dem Fachwissen müsse er kommunikative Fähigkeiten besitzen, um eine bedarfsgerechte Ansprache der (Einzel-)Eigentümer leisten zu können und sie zu motivieren an der Konzeptumsetzung teilzuhaben. Insbesondere bei den Einzeleigentümern sei zu vermitteln, dass sowohl Eigenleistungen erbracht werden könnten, als auch professionelle Leistungen in Anspruch genommen werden sollten. Wichtig sei hierbei, sich Chancen nicht zu „verbauen“ und auf eine technische Anpassungsfähigkeit installierter Anlagen zu achten.
Im Ausblick wünschten sich die Podiumsgäste eine gesteigerte Identifikation der Bewohnerschaft mit Ihrem Quartier, die Aktivierung (privater) Eigentümer, innovative Lösungen und die Zukunftsfähigkeit der Quartiere.
Weitere Veranstaltungen der Facharbeitsgruppen