Konferenz des Netzwerks Frauen Nachhaltigkeit plus Gender = zukunftsfähig

Das Netzwerk Frauen in der Metropolregion Hamburg hat 2023 mit Workshops und einer Konferenz positive Impulse zur Geschlechtergerechtigkeit im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung unserer Region gegeben. Im gleichen Zeitraum hat die Studie „Der Stand der Umsetzung der Agenda 2030 in den deutschen Kommunen“ bestätigt: Frauen leisten mehr Care-Arbeit, sind seltener in Führungspositionen und ihre Einkommen bleiben hinter denen der Männer zurück. Frauen und Männer haben also unterschiedliche soziale Ausgangssituationen. Diese Tatsache darf bei der Bearbeitung der UN-Nachhaltigkeitsziele nicht vernachlässigt werden. Impulsen aus globalen, überregionalen und lokalen Zusammenhängen haben die Komplexität dieser gesellschaftlichen Herausforderung auf der Konferenz verdeutlicht. Wie sich Kommunen dieser Herausforderung stellen, wurde in Praxisbeispielen vorgestellt.

Konferenz des Netzwerks Frauen in der Metropolregion Hamburg

Nachhaltigkeit plus Gender = zukunftsfähig

Nachhaltigkeit und Gleichstellung als gemeinsames Thema
Dass Nachhaltigkeit nicht ohne Geschlechtergerechtigkeit erreicht werden kann, wurde bereits1992 auf der Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro deutlich, auf der das Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert verabschiedet wurde. Darin wird die Bedeutung der Rolle von Frauen, deren Partizipation und Stärkung zur Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung hervorgehoben und die Handlungsebene der Kommunen beschrieben. Im Brundtland-Bericht der Vereinten Nationen von 1987 bezieht sich die Definition auf die gleichwertige Verknüpfung ökologischer, ökonomischer und sozialer Aspekte mit der Zielsetzung intra- und intergenerationeller Gerechtigkeit.

Soweit zurück liegen also die übergreifenden Zielsetzungen, die 2015 erneut von den Vereinten Nationen aufgegriffen und mit den 17 globalen UN-Nachhaltigkeitszielen konkretisiert wurden. Für ihre Umsetzung spielen sowohl die internationale Zusammenarbeit als auch nationale, lokale und kommunale Maßnahmen eine wichtige Rolle. Die Zielsetzungen sind übergreifend und komplex, so dass es konkrete Umsetzungsbeispiele braucht, um die Realisierbarkeit zu verdeutlichen. Hier setzen die Praxisbeispiele an, die auf der Konferenz „Nachhaltigkeit plus Gender macht zukunftsfähig“ vorgestellt wurden.

Soziale Ausgangssituationen der Geschlechter und deren Auswirklungen
Die unterschiedlichen sozialen Ausgangssituationen erfordern immer, darauf zu schauen, wer die Betroffenen zum Beispiel von Umweltauswirkungen sind. Wer kann wie teilhaben, Einfluss nehmen und mitgestalten? Dabei gilt es, global zu denken und lokal zu handeln. Was beispielsweise hier eingekauft wird, hat Auswirkungen auf Menschen, Umwelt und Wirtschaft im Land der Herstellung und Entsorgung. Geschlechteraspekte wirken immer auf sozialer Ebene, denn Frauen haben weniger Gestaltungsmöglichkeiten auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene. Sie verdienen weniger als Männer, sind häufiger von Armut und damit auch von Auswirkungen des Klimawandels betroffen.

Global denken – lokal handeln: Praxisbeispiele

Women Engage for a Common Future e.V. ist ein internationales Netzwerk aus 250 Frauen-, Umwelt- und Gesundheitsorganisationen mit Projekten in über 70 Ländern und dem Ziel einer gesunden Umwelt für alle. Geschlechtergerechtigkeit ist eines von sechs Themen, zu dem das Netzwerk arbeitet. International bringt es sich in politische Prozesse ein, national spricht es konkrete politische Empfehlungen aus und berät zu einer geschlechtergerechten Umsetzung. Auf lokaler Ebene wird mit Kommunen zusammengearbeitet. Nahezu durchgängig werden die Nachhaltigkeitsziele im Energieansatz von Maßnahmen, Ergebnissen und Wirkung berücksichtigt. Verena Demmelbauer bei WECF für WASH (Wasser, Sanitätsversorung und Hygiene) verantwortlich, stellte den Ököfeminismus anhand von vier Schlüsselbegriffen vor:

Intersektionalität:
Eine intersektionale Perspektive erlaubt, Diskriminierung- und Unterdrückung anhand von Kategorien wie Geschlecht, Klasse, rassistischer Zuschreibungen, Fähigkeiten und Sexualität einer Person sichtbar zu machen. Ein Großteil aller Menschen ist von mehreren Formen struktureller Diskriminierung betroffen. Für die weiße Feminismusbewegung bedeutet das beispielsweise, dass sie sich ihre Privilegien unter anderem gegenüber Women of Color bewusst sein muss.

Klimagerechtigkeit:
Klimagerechtigkeit ist mehr als Klimaschutz. Sie berücksichtigt auch soziale Aspekte bei der Bekämpfung der Klimakrise. Sie fragt nicht nur nach den physikalischen sondern auch nach den gesellschaftlichen Ursachen und Folgen von Erderhitzung und Umweltzerstörung. Sie weist auf soziale Ungerechtigkeiten hin, die beseitigt werden müssen, damit unser Planet bestehen bleibt.

Kritische Männlichkeit:
Für den Feminismus sind nicht Männer das Problem, sondern das Patriarchat, was auch von vielen Männern abgelehnt wird. Kritische Männlichkeit fragt daher nach Verhaltensweisen, mit denen Männer sozialisiert werden und die problematischen sind – für sie selbst und andere.

Möhrengrünpesto:
Möhrengrünpesto steht für einen nachhaltigen Lebensstil: Regional und saisonal konsumieren, Plastik und Müll vermeiden. So ein nachhaltiger Lebensstil ist aufwendig und teuer. Studien zeigen, dass Frauen eher als Männer bereit sind, diesen Mehraufwand zu leisten. Dazu kommt, mehr Frauen als Männer übernehmen Care-Arbeit. Das bedeutet für sie eine zusätzliche Belastung. Werte von Fürsorge und Nachhaltigkeit müssen daher Teil der männlichen Sozialisation werden.

Regionale Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien
Deutschlandweit ordnen sich 16 Organisationen diesen Netzstellen zu. Sie stellen die Verbindung zu der Nachhaltigkeitspolitik in Bund und Ländern her. Sie haben die Aufgabe den Wissenstransfer zu fördern, Menschen zu vernetzen, die UN-Nachhaltigkeitsziele umzusetzen und das Engagement zu stärken. Beispielsweise wurde die offene Plattform https://gemeinschaftswerk-nachhaltigkeit.de ins Leben gerufen, auf der Organisationen und Initiativen Aktivitäten eintragen können, durch die andere inspiriert werden und sich neue Kooperationen bilden können.

Die verantwortliche Koordinatorin Cordula Wellmann stellte die Aktivitäten auf der Konferenz vor. Dabei betonte sie, dass die UN-Nachhaltigkeitsziele nur zusammenwirken und nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Mit der Geschlechtergerechtigkeit als eigenständigem Ziel wird sichergestellt, dass Gleichstellung gesehen wird und nicht als Nischenthema einem anderen Ziel untergeordnet wird.

Eine gute Nachhaltigkeitsstrategie umfasst eine Vision. Sie beinhaltet Ziele und Indikatoren genauso wie ein politisches Commitment. Der Bund orientiert sich mit seiner Nachhaltigkeitsstrategie seit 2016 an den UN-Nachhaltigkeitszielen, 2021 wurde eine Weiterentwicklung beschlossen und ist für 2023/2024 vorgesehen. Die Bundesländer der Metropolregion Hamburg sind sehr unterschiedlich aufgestellt.

Lokale Beispiele:

Lüneburgs Nachhaltigkeitsweg – von der Vision bis zur planerischen Umsetzung
Die Hansestadt Lüneburg hat sich 2015 mit der Leuphana Universität auf den Weg gemacht, herauszufinden, wie eine für nachfolgende Generationen lebenswerte Zukunft Lüneburgs aussehen kann. Die Idee von einem großen, experimentellen Austausch angelehnt an die UN-Nachhaltigkeitsziele hat einen achtjährigen Prozess initiiert. Dabei wurden Visionen entwickelt, Lösungswege aufgezeigt und in konkreten Experimenten ausprobiert. Aus Genderperspektive ist dabei auffallend, dass Projektteam und Ehrenamtliche überwiegend weiblich waren. Dies ist typisch für den Ansatz von Verhaltensänderungen im Kontrast zu einem eher männlich geprägten Fokus auf technische Effizienzsteigerungen und Lösungen, die kaum Verhaltensänderungen nach sich ziehen. Aus Gleichstellungssicht kann hier eine Feminisierung insbesondere des privaten Nachhaltigkeitshandelns festgestellt werden, die Parallelen zur unbezahlten meist weiblichen Carearbeit aufweist.

Ein weiterer Baustein ist die Beteiligung am Projekt Global Nachhaltige Kommune Niedersachsen. Der erste Bericht wurde 2020 gemeinsam mit dem Landkreis Lüneburg erarbeitet. Der Abschnitt zu Gleichstellung setzt den Fokus darauf, den gesetzlichen Gleichstellungsauftrag umzusetzen, die Arbeit der Gleichstellungsbeauftragten zu stärken, die politische Partizipation von Frauen zu fördern, den Schutz für Frauen und Mädchen vor häuslicher Gewalt zu verstärken, gesunde Geburt auf dem Land zu gewährleisten sowie existenzsichernde Arbeitsbedingungen, Weiterbildung und Qualifizierung zu schaffen, um wirtschaftliche Unabhängigkeit von Frauen zu ermöglichen.

Der dritte Baustein des Lüneburger Nachhaltigkeitsweges ist ein integriertes Stadtentwicklungskonzept. Es basiert ebenfalls auf den UN-Nachhaltigkeitszielen und strebt ein Gesamtkonzept zur Handlungsorientierung für alle Arbeitsbereiche der Stadtverwaltung an. Dementsprechend sind die „Zukunftserzählungen“ querschnittsbezogen und erfordern die Zusammenarbeit unterschiedlicher Fachbereiche, die in der klassischen Arbeitsweise einer Stadtverwaltung noch nicht gelebt wurde. Damit sollen Potenziale für Synergien und Verbesserungen freisetzt werden. Alle Zukunftserzählungen beziehen sowohl soziale als auch ökonomische und ökologische Aspekte ein, so dass es in der aktuellen Partizipations- und Konkretisierungsphase möglich sein wird, auch Genderaspekte zu berücksichtigen.

Für eine nachhaltige Stadtentwicklung sind aus Sicht des Genderplanning folgende Aspekte relevant: öffentliche Räume schaffen, die Bedürfnisse aller sozialen Gruppen und Geschlechter berücksichtigen und die Verknüpfung zwischen unbezahlter Carearbeit und bezahlter Arbeit verbessern. Hierbei spielt die gute Erreichbarkeit täglicher Ziele eine wesentliche Rolle. So müssen kurze, verknüpfte und ausreichend breite Wege für Kinderwagen und Rollstühle geplant werden. Ebenfalls müssen Sicherheitsaspekte im öffentlichen Raum bedacht werden sowie eine ausgewogene Geschlechter-Beteiligung und Zielgruppendiversität in Partizipationsprozessen. Um die stadtübergreifenden Prozesse nachhaltiger Entwicklung koordinieren zu können, hat Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch eine Stabstelle „Nachhaltige Stadtentwicklung“ geschaffen.

Aktuell ist ein weiterer Prozess-Baustein auf den Weg gebracht worden: die Entwicklung eines nachhaltigen urbanen Mobilitätsplans. Gerechtigkeitsfragen sollen hier ebenso Berücksichtigung finden wie die Förderung umweltfreundlicher Verkehrsmittel und die Schaffung entsprechender Infrastrukturen. Hierfür müssen unterschiedliche Bedürfnisse der Bevölkerungsgruppen betrachtet werden. Die Gleichstellungsperspektive kommt dabei ins Spiel, da Frauen andere Mobilitätsbedürfnisse haben als Männer. Die historisch gewachsene Verkehrsinfrastruktur benachteiligt vor allem Menschen, die Sorgearbeit leisten und damit überwiegend Frauen. Eine geschlechtersensible Betrachtung der Mobilitätswende ermöglicht es, diese Unterschiede anzuerkennen und Maßnahmen zu ergreifen. Die Einbeziehung von Geschlechterperspektiven in Planungsprozesse schafft ein Bewusstsein für Mobilitätsbedürfnisse, die durch Sorgearbeit entstehen.

Cradle2Cradle Modellregion Landkreise Lüneburg und Lüchow-Dannenberg
Mit dem Beispiel der Cradle2Cradle greift die Konferenz das Thema „Kein Klimaschutz ohne Ressourcenwende“ auf. Die Modellregion versteht das Konzept Cradle to Cradle als Motor für die Etablierung einer ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltigen regionalen Entwicklung. Geschlechtergerechtigkeit ist ein Zertifizierungs-Kriterium und wird als gesellschaftlich-positiver Fußabdruck von Produkten begriffen und zielt auf eine Produktentwicklung ab, die sich an allen Menschen orientiert und die dabei eine breite Partizipation verwirklicht.

Nachhaltigkeit Land Hadeln
Die Samtgemeinde Land Hadeln ist eine der wenigen Kommunen, die das Themenfeld Demografie, gesellschaftliche Teilhabe und Gender in ihre Ziele zur nachhaltigen Entwicklung aufgenommen hat. Gemeinsam stellten die Nachhaltigkeitsmanagerin Kristin Scheele und die Gleichstellungsbeauftragte Julia Schiller Aktivitäten der Kommune vor. Dass Sprache essentiell für die Sichtbarkeit von Frauen ist, bringt die Samtgemeinde spielerisch mit dem *in–Scrabble-Stein zum Ausdruck. Mit der erfolgreichen Bewerbung beim Aktionsprogramm „Frauen in die Politik“ soll die Partizipation gestärkt werden. Beide betonen, dass Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit Querschnittsziele sind, die im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung bei allen Maßnahmen und Entscheidungen, mitgedacht werden sollten.

Women Engage for a Common Future e.V.
Der Verein setzt bei der Sensibilisierung für die Verknüpfung von Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit auf interaktiven Austausch. Die Teilnehmenden verorten ihre eigenen Projekte und Aktivitäten hinsichtlich deren Nachhaltigkeit und Geschlechtergerechtigkeit auf einem Poster und stellen diese anschließend in der Gruppe vor. Gemeinsam wurde diskutiert, welche Ideen und Ansätze genutzt werden könnten, um die Aktivitäten weiterzuentwickeln. Der Großteil der Projekte berücksichtigt Geschlechtergerechtigkeit bereits in einem hohen Maß.

Wohnprojekte, Hansestadt Lüneburg
Gemeinschaftliches Wohnen ist ein wichtiger Baustein für eine nachhaltige Stadt- und Regionalentwicklung. Den Blick für den Umgang mit Genderaspekten in Wohnprojekten hat das Forschungsprojekt WellCare der Frauenakademie München geschärft. Es zeigt, dass gemeinschaftliche Wohnformen förderlich für neue Diskussionen zu Care und Geschlechtergerechtigkeit sein können. Sie bieten die Chancen, Carearbeit zu kollektivieren und chancengleicher zu gestalten. Um den Boden dafür zu bereiten, sind in den Kommunen der Metropolregion bereits viele Erstberatungsangebote vorhanden, um Gruppen von Beginn an zu stärken. Darüber hinaus wird Kommunen oder Wohnungsunternehmen angeboten, aus dem Erfahrungsschatz gelungener Wohnprojekte für die eigenen Standorte zu lernen.
Fazit:
Insgesamt hat das Netzwerk Frauen in der Metropolregion Hamburg mit der Konferenz gezeigt, dass Gleichstellungsakteurinnen einen guten Beitrag auf dem Weg zur Verwirklichung der Agenda 2030 und einer nachhaltigen Gesellschaft leisten.

1.   Nachhaltigkeit und Gender müssen immer zusammengedacht werden.

2.   Die Gleichstellungsbeauftragte ist eine wichtige Akteurin bei der Umsetzung der Agenda 2030-Ziele. Sie gibt in diesem Prozess Impulse, Orientierung und Hinweise zur Umsetzung der Querschnittziels Gleichstellung. Durch eine stärkere Einbindung der Gleichstellungsbeauftrage kann die Gleichstellungsperspektive eingebracht werden, von der alle profitieren.

3.   Das 17 SDGs stehen im engen Wechselverhältnis mit der Umsetzung der Geschlechtergerechtigkeit. Sie können nicht isoliert betrachtet werden.

4.   Der Austausch und die Übertragung von Best Practice Bespielen auf lokaler und kommunaler Ebene helfen bei der Realisierung der Nachhaltigkeitsziele und bringen Dynamik in den Umsetzungsprozess.